Reiseeindrücke II

Ich weiß nicht, wie oft oder wie lange ich mich schon mit dem Gedanken getragen habe, das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zu besuchen.

Bereits seit der Schulzeit interessiert und bewegt mich die Geschichte der Juden und deren Verfolgung. Ich habe zahlreiche Bücher gelesen, Filme und Dokumentationen gesehen, bin zu Vorträgen von Zeitzeugen gegangen und war auch schon in anderen Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus.

Mit einer kleinen Reisegruppe habe ich im April an einer von OscH eV organisierten Reise nach Krakau teilgenommen. Auf dem Programm stand u. a. neben der Besichtigung der Emaillefabrik von Oskar Schindler auch der Besuch von Auschwitz-Birkenau, Ort des größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte, dem Menschenvernichtungslager während des deutschen Nationalsozialismus.

Bereits auf dem Weg vom Besucherzentrum zum Lager Auschwitz I, der mich in seiner Architektur an die Gedenkstätte Yad Vashem erinnert, wird man auf den Besuch eingestimmt. Jeder geht ehrfurchtsvoll, ruhig und gedanklich in sich gekehrt den vorgegebenen Weg und lauscht aufmerksam den unzähligen Namen derer, denen dort auf unvorstellbar brutale und heimtückische Weise ihr Leben genommen wurde. Die eigenartig widerhallende Akustik beschert mir eine Gänsehaut.

Manche der zahlreichen ehemaligen Häftlingsblocks aus unverputzten Ziegeln beherbergen heute die Ausstellung und Dokumentation der Lagerinsassen von ihrer Ankunft bis zu ihrer Ermordung. Nur wenigen war es vergönnt, die Befreiung durch die Rote Armee zu erleben.

Vieles habe ich schon gelesen oder gesehen, in Berichten, Dokumentationen, auf Bildern und anderem. Doch all das vermochte es nicht so zu veranschaulichen, wie hier, wo ich mittendrin stehe und die stummen Zeugen des Grauens und der Unmenschlichkeit real vor mir sehe. Ein Berg unzähliger Brillen von Ermordeten; ein Raum, zu beiden Seiten aufgetürmte Schuhe von Männern, Frauen, Kindern und Greisen – Schuhe, die eigentlich zum Tanzen oder Laufenlernen gedacht waren – liegen mahnend, ja anklagend vor mir. In einem weiteren Raum befinden sich gleichfalls zu beiden Seiten Unmengen – es müssen Tonnen sein – an Haaren, teilweise noch ordentlich zu einem Zopf geflochten. Es legt sich mir ein erdrückendes Gefühl auf die Brust, bei dem Gedanken, dass hinter jedem dieser stummen Zeugen ein Schicksal, eine Geschichte steht, die es wert wäre, erzählt zu werden. Wie viele Leben, die nicht gelebt wurden?

Nach der Besichtigung von Auschwitz I ging es mit einem Shuttlebus zum Lager Birkenau.

Das Lager Birkenau wurde im Oktober 1941, nachdem das Stammlager Auschwitz nach der Ankunft von ca. 10.000 sowjetischen Kriegsgefangenen völlig überfüllt war, für 100.000 Gefangene ohne Kanalisation und sanitäre Einrichtungen errichtet. Auschwitz war das größte und mit dem höchsten technischen Aufwand betriebene nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslager. 1943 waren im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau etwa 140.000 Häftlinge unter katastrophalen Bedingungen zusammengepfercht. Mit unvorstellbarer Grausamkeit, Gleichgültigkeit und ohne jeglichen Respekt und Achtung wurde gegen die Gefangenen; noch kurz vor ihrem Tod nahm man ihnen die letzte Würde. Einfach unvorstellbar, eine solche Menschenverachtung. Es stellt sich einem immer wieder die Frage, wie kann ein Mensch einem anderen Menschen nur so viel Leid und Schmerz zufügen und am Ende des Tages zu Frau oder Mann und Kindern zurückkehren und ein normales Familienleben leben?

Ich glaube, es reicht nicht davon zu wissen; man muss es gesehen haben, denn nur so kann man auch nur annähernd das Ausmaß und das Schrecken der wohl dunkelsten Jahre in der Geschichte des deutschen Volkes wirklich erkennen.

Ramona P.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein