Sprosse für Sprosse

Dieser Artikel stammt aus dem Aufwind 4 / 2020. Unser Freundesbrief „Aufwind“ kann hier kostenlos und unverbindlich bestellt werden.

Jakob schaut die Himmelsleiter

Eine Adventspredigt von Georg Scheuerlein

Die Bibel berichtet von einer beeindruckenden Gottesbegegnung. Jakob, der Sohn Isaaks, war unterwegs von Beerscheba nach Haran, als es Nacht wurde. Er suchte sich einen Stein als Kopfkissen, legte sich schlafen und hatte einen Traum:

Und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der Herr stand oben darauf und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden

1. Mose 28, 10ff

1. Sprosse – Gott sucht Menschen, die sich von ihm ansprechen lassen

Wer war eigentlich dieser Jakob? Er hatte seinem Zwillingsbruder Esau die Erstgeburtsrechte für ein Linsengericht abgeschachert. Dann erschlich er sich auf Betreiben seiner Mutter den Segen des Erstgeborenen von seinem greisen Vater Isaak. Man muss also sagen: Jakob war ein tüchtiges Schlitzohr, ein Betrüger und ein Lügner. Kurz, ein Sünder. Folgerichtig war er auf der Flucht vor seiner dunklen Vergangenheit. Dennoch hat Gott ihn erwählt. Wir können sagen: Gott teilt sich hier dem Schuldigen mit.
Das ist auch bei uns so. Oft meldet Gott sich dort, wo wir es am wenigsten erwartet oder verdient haben. Es ist eine reine Gnadenwahl. Jakob hat nichts dazu beigetragen, dass er von Gott angenom­men wird. Das wird hier besonders deutlich: Der Mann schlief – und da handelte Gott. Es gibt ja dieses Sprichwort: Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf. Genau das passiert hier. Es ist ein Ausdruck der Liebe Gottes und kann uns trösten: Wenn wir schuldig und müde sind – Gott will sich uns dennoch mitteilen. Wir wissen ja, dass keiner von uns bestehen könnte, wenn Gott unsere schuldige Vergangenheit nicht bereinigt, vergeben und vergessen hätte.
Jakobs Vergangenheit hieß Schuld. Seine Gegenwart war nicht einfacher. Weil er an seinen Mitmenschen schuldig geworden war, musste Ja­kob in die Nacht hinaus. Das ist oft so: Wenn wir schuldig werden, kommt es zu einer Trennung. Das haben schon Adam und Eva erlebt: Als sie schuldig wurden, erfolgte die Trennung von Gott und sie mussten sich verbergen. So auch Jakob – er verlor seine Heimat und seine Familie. Die Son­ne ging ihm unter und ein Stein war sein Kopfkissen. Das ist er: der Mensch in der Nacht, auf hartem Boden, mit einem schlechten Gewissen. Aber genau da begann Gott zu reden.
Das ist hier die frohe Botschaft: Gott sucht zuerst nicht die reinen Menschen. Sondern er sucht offene Menschen, die bereit sind, sich von ihm ansprechen zu lassen.

2. Sprosse – Gott ist überall da­bei und gibt einen neuen Anfang

Jakob stand an einer Weggabelung. Ein neuer Lebensabschnitt lag vor ihm. Auch auf jeden von uns kommen ja immer wieder Ortswechsel, neue Umstände und Aufgaben zu. Aber wir Gotteskinder dürfen wissen: Gott ist auch noch da. Ganz gleich, wo wir hingehen – er begleitet uns. Denn wie zu Jakob, so spricht Gott auch zu uns: „Und siehe, ich bin mit dir und ich will dich behüten, wo du hinziehst.“ Überall ist Gottes Land. Als Jakob an seinem Reiseziel Haran ankam, da war Gott schon da. Wenn du, lieber Predigtleser, deine Zelte in Erlangen aufschlagen musst, ist Gott schon da. Oder wenn du ins Krankenhaus musst, ist Gott schon da. Selbst wenn dein Leben zu Ende geht und du das Reich des Todes betrittst, dann ist Gott, dann ist Jesus schon da.
Jakob musste seine Heimat verlassen. Er war heimatlos und auch arbeitslos. Aber er war nicht Gott los. Was sagte Gott hier zu Jakob? – „Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.“ Auch wenn du arbeitslos bist, bist du nicht unbedingt Gott los. Ich will es mal so sagen: Jeder Arbeitslose, der eine Gottesbeziehung hat, ist besser dran als einer, der vielleicht einen guten Job hat, aber der Gott nicht kennt. Wenn du eine Ausbildung oder eine neue Arbeit beginnst und dich fragst, ob es dir gelingt, dann denk an Jakob, wie er hunderte Kilometer von seiner Heimat entfernt das Durchhelfen Gottes erfahren hat.
Oder nehmen wir mal an, du gehst in Rente, hast Angst vor Einsamkeit und fühlst dich nutzlos. Da kann ich dir sagen: Gott geht nicht in Rente. Er ist im­mer höchst aktiv, auch für dich. Er kann dir auch im Alter noch ein zutiefst sinnerfülltes Leben schenken. Voraussetzung ist natürlich, dass du nach seinem Willen fragst und auch die notwendige Stille hast, um die Weisung Gottes zu vernehmen. Das gilt auch für Veränderungen in der Partnerschaft, wenn wir einen lieben Menschen durch den Tod verlieren. Oder wenn die Kinder aus dem Haus gehen oder es zu einer Scheidung kommt …
Jakob musste Vater und Mutter verlassen. Aber im Laufe der Zeit liefen ihm neue Menschen über den Weg. In der Fremde fand er eine Frau, sogar zwei Frauen, wie es damals mitunter üblich war.
Also, Menschen können uns enttäuschen oder verlassen, können sterben. Aber Gott stirbt nicht. Er ist treu. Jakob ist der Beweis: Er erkannte, dass der Mensch nie so verlassen und einsam sein kann, als dass Gott nicht mit ihm sein könnte. Gesegnet ist die Möglichkeit zum Neuanfang, von unserem Gott geschenkt! Das gilt auch für die Chance, in seiner Kraft eine Sünde zu meiden, ein Laster abzulegen oder mit einer üblen Gewohnheit zu brechen. Dazu will Gott dir helfen. An jedem Tag, in jeder neuen Woche, jedem neuen Lebensjahr, das du beginnen darfst, ist er bereit, mit dir den Faden wieder ganz neu aufzunehmen.
Das hängt alles damit zusammen, dass Gott mit unserem Leben ein bestimmtes Ziel hat. Er hatte ja auch mit Jakob und seiner Familie einen Plan, sogar einen Heilsplan für alle Welt. Lesen wir, mit welcher Bestimmtheit er sein Versprechen gibt: „Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.“ Das gilt auch dir, lieber Leser, dass Gott auch mit deinem Leben etwas Bestimmtes bezweckt. Alles, was er in dein Leben hineinbringt, soll dich reif machen im Glauben und dich weiterbringen. Es soll dich für deine Mitmenschen zum Segensträger machen.

3. Sprosse – Gott kann in ein Leben hineinsprechen

etwa durch Träume, Visionen oder geistliche Eindrücke. Jakob sah im Traum die Engel Gottes, die aus dem Himmel auf unsere Erde kommen. Lieber Leser, du wirst staunen: Sie kommen auch in dein Leben.
Das müssen wir uns mal so richtig vorstellen, wie die Engel vom Himmel herabsteigen, um die Not deines Lebens zu sehen. Sie steigen wieder zu Gott empor und tragen deine Not und deine Gebete zu ihm hinauf. Dann kommen sie wieder herab, um dir die Liebe Gottes zuzurufen: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren.“ So werden uns zu Weihnachten die Engel wieder zurufen.
Der Himmel schickt dir Engel. Meist in Gestalt von Mitmenschen, die in deinem Leben etwas ausrichten sollen oder dir eine Botschaft übermitteln. Oft merken wir gar nicht, dass wir von dienstbaren Geistern Gottes umgeben sind. Oder wir merken es erst im Nachhinein.
Die Gottesrede zu uns geschieht auch oft durch sogenannte Zufälle, durch Erlebnisse oder Umstände, die sich ergeben. Es sind nicht immer die glatten Wegstrecken des Lebens, in denen Gott zu uns spricht und an uns handelt. Das sehen wir an Jakob: Er suchte eine Frau, aber er musste viele Jahre für sie arbeiten. Dazu wur­de er noch von seinem Schwiegervater tüchtig ausgenutzt und betrogen. Doch Gott war an seiner Seite.
So ist Gott uns gerade in den misslichsten Situationen besonders nahe. Wie bei Jakob, der dort in der Nacht auf einem Feldweg lag und schlief, mit einem Stein als Kopfkissen. Das war nicht sehr bequem, doch genau da geschah die Gottesoffenbarung.

4. Sprosse – In vielem, was uns begegnet, können wir Gottes Handeln sehen

Wie reagierte Jakob? „Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!“ So ist es auch manchem von uns ergangen, dass wir erst im Nachhinein erkannt haben: Da war ja Gott dabei! Und wir dachten, da hätte ein böses Schicksal mit uns gespielt. Oder wir dachten, wie man so sagt: ,Schwein gehabt‘. Aber es war der Herr. Wenn wir erst einmal den Draht zu Gott gefunden haben, dann erkennen wir in vielem, was uns begegnet, das Handeln Gottes – im Schönen wie im Schweren. „Der Herr ist an dieser Stätte und ich wusste es nicht.“
Ich denke da an eine Zeit in unserer Gemeinde in Görlitz, als wir noch keine eigene Kirche hatten und in einer katholischen Kapelle zu Gast waren. Wir waren vielleicht 50 bis 60 Leute, darunter viele junge Menschen. Gottes Kraft war unter uns, sein Wirken, sein Geist. Wir lebten in der Zeit der ersten Liebe des Glaubens. Die Charismen brachen auf. Dann kamen Besucher aus anderen Gemeinden und wohl auch von der Kirchenleitung, um unsere Freiheit in Christus auszukundschaften. Sie erlebten, was Gott unter uns tat. So mancher kam anschließend zu mir und sagte: „Der Herr ist an dieser Stätte und ich wusste es nicht.“
Jakob sprach nach seinem Traum: „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus.“ In unserer Kirche in Görlitz-Königshufen gibt es ein Deckengemälde von einem Engel mit einem Büchlein, auf dem steht: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen.“ Das können wir durchaus auch auf jeden Kirchenraum beziehen, in dem Gott zu Wort kommt. Übrigens wird im Neuen Testament die ganze Gemeinde als Haus Gottes bezeichnet. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Kirchenmitglieder darauf verzichten. Wie sie jahraus, jahrein nicht in die Gemeinde kommen und sich in ihrer Lebensgestaltung nicht von Gott beraten lassen.
Die eindrücklichste und liebevollste Rede Gottes erreicht uns ja in Jesus Christus. In Jakobs Traum blieb Gott oben auf der Leiter stehen, nur die Engel kamen herab. Das war noch der Alte Bund. Aber in Jesus kam Gott selber auf die Erde herab, um Gott und Menschen miteinander zu versöhnen. „In unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut.“ *
Wenn Jakob schon von dem Ort Bethel sagen konnte: „Hier ist die Pforte des Himmels“ – wieviel mehr können wir das von Bethlehem sagen – und natürlich von Jesus Christus selbst? Er ist ja tatsächlich die Pforte des Himmels, die uns zum ewigen Leben gegeben ist. Jesus Christus spricht: „Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Er ist die Tür zum Licht. In der Gemeinschaft der Christen soll jedem von uns in Wort und Sakrament diese Tür zum Himmel geöffnet werden.

* Martin Luther, „Gelobet seist du, Jesus Christ“ (EG 23)

5. Sprosse – Gott muss unser Gott werden

Jakob legte ein Gelübde ab: „Wird Gott mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und mir Brot zu essen geben und Kleider anzuziehen und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der Herr mein Gott sein. Und dieser Stein, den ich aufgerichtet habe zu einem Steinmal, soll ein Gotteshaus werden; und von allem, was du mir gibst, will ich dir den Zehnten geben.“
Gesegnet ist unser Leben, wenn aus unserem Hören das Gehorchen erwächst. Wenn du hörst, redet Gott. Wenn du gehorchst, dann handelt Gott – auch in deinem Leben. Der Traum von der Himmelsleiter und die großen Verheißungen Gottes bewirken bei Jakob seine Bekehrung. Oder richtiger gesagt, den Anfang seiner Bekehrung. Jakob kannte Gott aus der Familientradition. Sein Vater Isaak hatte ihn, wie wir heute sagen würden, kirchlich erzogen. Jakob wusste von dem Gott Abrahams und von dem Gott Isaaks. Aber er musste nun auch der Gott Jakobs werden.
Genau so ist es bei uns. Lieber Leser, du weißt, dass es einen Gott gibt? Aber, mein Lieber – er muss dein Gott werden! Erst dann bist du gerettet. Wir haben nur dann einen Vater im Himmel, wenn wir zu Jesus Christus den Faden aufgenommen und uns ihm unterstellt haben. Wir müssen uns vom Wort Gottes treffen lassen. Es gibt kein lebendiges Christsein ohne persönliche Betroffenheit.

6. Sprosse – Gott bestimmt unser Leben

Jetzt wird es praktisch: Ein Altar wird gebaut. „Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goss Öl oben darauf.“
Haben wir schon so einen Altar für Gott errichtet – in unserem Herzen, in unserer Familie, in unserem Alltag? So wie Jakob das Öl auf den Altar ausgoss, so sollten auch wir das Öl des Heiligen Geistes auf alle Bereiche unseres Lebens ausgießen. Das heißt, wir sollten alles Denken und Handeln vom Geist Gottes bestimmen lassen.
Dann erfüllt sich auch ein Stück die Zusage, die Jakob gegeben ist. Gott sprach zu ihm: „Durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden.“ Will sagen: Wenn Gott mit dir einen neuen Anfang macht und du ihm gehorsam bist, dann wirst auch du ein Mensch des Segens werden. Andere werden Gott danken, dass es dich gibt und dass du es ihnen leichter gemacht hast, in die Nachfolge Jesu zu treten und darin zu bleiben.

7. Sprosse – Gott geht mit uns weiter

Jakob hat noch einen langen Weg vor sich. Sein Ziel ist Haran. Aber vor allem hat er noch einen langen Weg im Glauben vor sich. Die Bekehrung eines Menschen ist ja immer erst der Anfang in der Beziehung zu Gott. Jakob wird 30 Jahre in der Fremde sein. Die Menschen, die ihm dort begegnen, wird Gott als Schleifstein für ihn verwenden. Jakob wird mit Gott ringen und auch Verletzungen empfangen. Er hat noch einen weiten Weg vor sich, bis er sich auch wieder mit seinem Bruder versöhnen kann.
Aber die Himmelsleiter ist zu ihm herabgelassen. Jede Sprosse dieser Leiter, die Jakob betritt, ist ein bestimmtes Erlebnis der Glaubensreifung. So wird er am Ende seines Lebens bekennen: „Herr, ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du an deinem Knecht getan hast.“
Gott hat geredet – zu Jakob und auch zu uns. Es ist ja Advent. Unser Gott kommt und schweigt nicht.

Der Autor ist evangelischer Pfarrer i. R.
Er ist verheiratet mit Barbara und lebt in Görlitz.