Der Mann am Fenster

Briton Rivière: „Daniels Antwort an den König“, Gemälde von 1890

Dieser Artikel stammt aus dem Aufwind 2 / 2022. Unser Freundesbrief „Aufwind“ kann hier kostenlos und unverbindlich bestellt werden.

EINBLICKE IN DAS LEBEN DES PROPHETEN DANIEL

Das Buch Daniel zeigt uns, dass Gott über den Entwicklungen der Geschichte steht. Auch wenn Regenten und Staaten scheinbar ungebremst regieren und sich und ihre Erfolge feiern.

So wird uns bezeugt, dass es Gott ist, der Israel für eine begrenzte Zeit in die Hände Babylons gibt. Auch wenn die sich gottgleich gebenden Herrscher Babylons von ihrer Allmacht überzeugt sind, werden ihnen dennoch vom Himmel her Begrenzungen gesetzt. Gott offenbart sich ihnen durch Menschen und übernatürliche Ereignisse.

Zugleich ist das Danielbuch eine sehr lebendige Darstellung eines Lebens in gewaltigen, widersprüchlichen Herausforderungen. Der britische Maler Briton Rivière zeichnet die Geschichte Daniels in der Löwengrube mit einer geradezu provokanten Zuspitzung. Andere denken bei Daniel zuerst an die prophetischen Aussagen über die Weltreiche und ihre Bedeutung bis in die Gegenwart.

Und wir? Wir dürfen immer wieder neu die heiligen Schriften zu uns reden lassen. Durch sie spricht Gott bis in unsere Zeit hinein.

Im fremden Land

Als Teenager wird Daniel von Jerusalem nach Babylon deportiert. Er stammt aus einer angesehenen, einflussreichen Familie. Zusammen mit seinen drei Freunden wird er ausgewählt, am babylonischen Königshof ein mehrjähriges Schulungsprogramm zu absolvieren.

Dort erleben sie eine schwere Demütigung: Sie bekommen neue Namen. In einer Kultur, in der die Namensgebung Bestimmung und Segenswunsch ausdrücken können, ist das schwer zu ertragen. Aus Daniel – „Gott ist Richter“ – wird Belsazar: „Baal schütze den König“.

Erstaunlicherweise wird uns von keinerlei Rebellion oder Klage berichtet. Weiß Daniel sich von Gott geführt? Gibt ihm die Gewissheit, dass Gott auch in der Ferne mit ihm ist, Frieden? Weiß er sich von ihm bei seinem Namen gerufen? Leichtfertigkeit, Oberflächlichkeit oder Abenteuerlust können nicht seine Motive gewesen sein.

Die Ausbildung am Hof bringt auch besondere Vergünstigungen mit sich. Die vier jüdischen Freunde werden von der Küche des Königshofes mit auserlesenen Speisen und Getränken versorgt. Doch das führt Daniel in einen Gewissenskonflikt – hatte er sich doch fest vorgenommen, sich an die Gebote Gottes zu halten. Und das bedeutete für einen frommen Juden, manche Speisen nicht anzurühren. Die Bibel berichtet uns von einem mutigen Glaubensschritt: Höflich trägt Daniel dem Verantwortlichen seine Bedenken vor. Und Gott stellt sich zu diesem jungen Mann und gibt dem Vorgesetzten, bei allen Vorbehalten, Verständnis für das Anliegen. Man erlaubt ihm und seinen drei Freunden, ausschließlich pflanzliche Kost und Wasser zu sich zu nehmen. Der Herr des Himmels segnet sie nicht nur mit Gesundheit, sondern gibt ihnen auch gleich noch ein Übermaß an Begabung und Einsicht in die Wissenschaft der damaligen Zeit. Das führt dazu, dass sie in den ge­hobenen Regierungsdienst übernommen werden.

Karriere im fremden Land

Manch einer mag Bedenken haben, ob es gut sei, Karriere im babylonischen System zu machen. Das lässt sich sicher nicht anhand einer Bibelstelle klar verneinen oder befürworten. Daniel und seinen Freunden war sicherlich das Prophetenwort Jeremias bekannt:

„Bemüht euch um das Wohl der Stadt, in die ich euch verbannt habe, und betet für sie zu Gott! Denn wenn es ihr gut geht, geht es auch euch gut“.

Jeremia 29,7

So wie auch wir aufgefordert sind, für alle zu beten, die in Politik, Wirtschaft oder Verwaltung Verantwortung tragen. Und auch wir haben die Zusage, dass wir dann ein Leben in Ruhe und Frieden führen können, das Gott die Ehre gibt.

So ziehen sich die Vier nicht zurück, sondern werden Zeugen Gottes am Königshof. Dort fallen sie dem König immer wieder durch ihre außergewöhnliche Weisheit auf.

Freunde fürs Leben

Als der König eines Nachts einen sehr beunruhigenden Traum hat, können ihm alle seine Gelehrten nicht weiterhelfen. In seinem Zorn will Nebukadnezar alle Intellektuellen hinrichten lassen. Auch Daniel und seine Freunde fallen unter dieses Urteil. Sie flehen gemeinsam zu Gott. Und Gott redet zu Daniel. Er erfährt in einer nächtlichen Vision sowohl den Traum als auch seine Deutung. Vor dem König stehend bekennt er, dass dies nicht sein Verdienst und Können ist. Aber es gibt einen Gott im Himmel, dem nichts unmöglich ist. Daniel ist sich seiner Abhängigkeit von Gott bewusst und bleibt demütig.

Dem König Nebukadnezar bleibt nur das Bekenntnis: „Euer Gott ist wirklich der Gott der Götter und der Herr der Könige und der Offenbarer der Geheimnisse.“ Er befördert Daniel zum Obersten über den Beraterstab der Regierung – wenn man so will, ihrem Thinktank. Nebukadnezar will ihm zugleich die Verwaltung der Provinz Babylon anvertrauen. Doch Daniel denkt an seine treuen Freunde und so wird ihnen diese Aufgabe auf seine Bitte hin anvertraut.

Freundschaft ist ein kostbares Gut. Salomo sagt uns, wahre Freunde lieben zu jeder Zeit. In den Tagen der Einsamkeit stehen sie uns nahe. In den Momenten des Erfolges freuen sie sich mit uns, vergessen aber auch diejenigen nicht, die mitgeholfen haben. In innerer und äußerer Not halten sie zueinander.

Leider vergisst der König Nebukadnezar recht schnell sein Gottesbekenntnis und fordert alle seine Untertanen zum Götzendienst auf. Das ist eine willkommene Gelegenheit für die Neider, denen die Karriere der vier Juden schon immer ein Dorn im Auge ist. Sie verklagen die Freunde Daniels, die bei Nebukadnezars Götzenanbetung nicht mitmachen. Sie bekennen sich zu ihrem Glauben an ihren Gott und Retter. Ihm wollen sie treu bleiben. Daraufhin erhalten sie das Todesurteil: Sie sollen in einen Feuerofen geworfen werden. Das bedeutet einen sicheren, qualvollen Tod.

Wie mag es Daniel zumute gewesen sein? Sind doch seine Freunde durch seine Intervention in ihre Position gekommen. Die Bibel schweigt sich darüber aus. Aber das Wunder geschieht! Gott steht ihnen bei und rettet sie. So muss der König abermals bekennen: Dieser Gott ist zu verehren. Sein Reich ist ein ewiges Reich. Er ist der Allmächtige und nicht ich.

Der Mann am Fenster

Viele Jahre später reformiert der Enkel Nebukadnezars, König Darius, die Verwaltungsstruktur seines großen wachsenden Reiches. Er setzt 120 Statt­halter ein. Drei Minister überwachen deren Arbeit und geben dem König Rechenschaft. Zu einem dieser Minister wird Daniel ernannt. Gott hat ihn mit einem alles überragenden Geist ausgerüstet, so dass der König auf den Gedanken kommt, dem Hebräer die Gesamtleitung zu übertragen.

Diese Demütigung will der Regierungsapparat nicht akzeptieren. Die Beamten arbeiten an einer Intrige. Doch es gelingt nicht, Daniel etwas vorzuwerfen. So packen sie den König an seinem Stolz. In einem perfiden Gesetzesentwurf wird festgelegt: In den nächsten dreißig Tagen dürfen keine Bitten an irgendeinen Gott oder Menschen erfolgen, außer an den Herrscher Darius allein. Wer sich nicht daran hält, wird den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Der König unterschreibt.

Und Daniel? Beim Weiterlesen hält man die Luft an: Als er davon erfährt, geht er in seine Wohnung. Im Obergeschoß hat er ein offenes Fenster nach Jerusalem hin. Dort betete er dreimal täglich, lobte und dankte Gott. So auch an diesem Tag.

Ein offenes Fenster zu Gott. Das erinnert uns an unseren freien Zugang zum Thron der Gnade, täglich, jederzeit. Bei allem Erfolg weiß Daniel: Gott ist es, der mich berufen hat, der mich ausrüstet, trägt und führt. In seinem Herzen hatte der Prophet eine Festlegung getroffen: Egal wie beschäftigt ich bin, egal wohin der Erfolg mich trägt, egal welche Bedrohung über meinem Leben schwebt – mein Leben bleibt auf Gott ausgerichtet. Das blieb kein frommer Wunsch. Sondern ganz praktisch reserviert er sich täglich Zeit, um alle seine Sorgen auf Gott zu werfen.

Wir wissen nicht, wie viele kleine und große Gebetserhörungen er im Laufe der Jahre erlebt hat. Aber es brachte ihn zu einem gewohnten Umgang mit Gott. So wuchsen seine Zuversicht und seine Hoffnung, sein Glaubensfundament wurde tiefer und breiter. Zugleich dankte er Gott immer wieder – das bewahrte ihn vor dem Vergessen, von wem die Segnungen seines Lebens kamen. Es half ihm, nicht vom Sog des Erfolges fortgerissen zu werden. Vielleicht bewahrte es ihn auch vor der Schwermut, sein Leben fern der Heimat verbringen zu müssen. Ein offenes Fenster in die himmlische Heimat rückt vieles zurecht. Wie bei einem Reisenden mit Karte und Kompass ordnen sich Ziele, Wünsche und Erlebnisse. Prioritäten werden sichtbar und übergroße Hindernisse schmelzen wie Eis in der Sonne.

Wie David stärkt Daniel sich in seinem Gott und erlebt: Mit ihm kann ich über Mauern springen. Wir haben dieselben Zusagen. Mit Jesus können wir innere und äußere Hindernisse überwinden.

Alle Erlebnisse seines Glaubenslebens machen Gott in Daniels Herzen groß. So hat er mehr Gottvertrauen als Furcht vor der Löwengrube. Er praktiziert den bekannten Satz: Wer vor Gott kniet, kann vor Menschen aufrecht stehen.

In dem obigen Bild finden wir beide Elemente zusammengefasst. Daniel wendet sich ab von der Gefahr. Das wäre fahrlässig, ja tödlich, wenn er sich nicht zugleich Gott zuwenden würde. Er weiß sein Leben in der Hand seines Schöpfers und nicht im Ermessen von Geschöpfen. Dazu braucht es Glauben und die Kraft des Heiligen Geistes. Beides war Daniel vertraut. Beides hat er empfangen. Durch Gottes Eingreifen überwindet er auch diese Krise. Er weiß sich geliebt von Gott. Später wird ihn ein Engel dreimal als vielgeliebten Mann grüßen. Das berührt, stärkt und heilt unser Herz.

Mit dem Erlebnis in der Löwengrube ist Daniels Leben und Auftrag noch nicht zu Ende. Er wird Empfänger schwerer und weitreichender Prophetien, bis Gott ihm eines Tages zusagt, dass er bald in seine Ruhe eingehen wird. Doch Gott sagt Daniel auch, dass er am Ende der Tage auferstehen wird, um sein Erbe aus Gottes Hand in Empfang zu nehmen.

Frank Seyfried
ist Mitarbeiter im OscH e.V.
Er ist verheiratet mit Kathrin und lebt in Julbach am Inn, Bayern